Donnerstag, 9 – 11 Uhr, Raum 8.34

Beginn: 17. Oktober 2024

Anrechenbar als Vorlesung für Musikpädagogik und für Musikpädagogik/Fachdidaktik (FD). [2 ECTS]

„Lieber Twitt!“ lese ich auf einer Karte von Fritz Jöde an Wilhelm Twittenhoff aus dem Jahr 1945 „Fein, dass Du wieder da bist. Das weitere wird sich dann schon finden. […] einstweilen bin ich hier Kantor an der evangelischen Gemeinde in Reichenhall und habe mir da eine richtige Musikantengilde aufgebaut. So können wir trotz allem wohl durchhalten […]. Jedenfalls bist doch auch Du davon überzeugt, dass unsere Jugendmusikarbeit bis 33 nun wieder neu und mit einem viel tieferen Klang als damals anzusetzen haben wird. Machen wir uns dafür bereit!“ – Beide Musikpädagogen waren für wesentliche Entwicklungen im Bereich der Musikerziehung verantwortlich, und zwar sowohl in den letzten Jahren der Weimarer Republik als auch in den ersten der noch jungen Bundesrepublik, aber – beide arbeiteten durchaus auch während der Zeit des sogenannten Dritten Reiches in ihrem Beruf. 

Um die Entwicklung der Disziplin Musikpädagogik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg verstehen zu können, müssen wir fragen, was denn 1933 vorgeblich „zurück“gelassen wurde und woran genau nach der Kapitulation wieder angeknüpft werden sollte. Wir sollten uns ansehen, welche Umstände und Personenkonstellationen, welche soziokulturellen Gegebenheiten und politischen Forderungen dafür verantwortlich waren, dass statt eines „weiter so“ spätestens ab Mitte der 60er Jahre der Ruf nach Konzepten für den Musikunterricht laut wurde und diese in neuen Fachzeitschriften diskutiert wurden, warum jenseits der Mauer der Schulgesang weiter kultiviert wurde, während er im Westen – ausgenommen sind Pop und Musical – für viele Jahre zunehmend aus dem Unterricht verbannt erscheint, u.v.m.

Wir werden im Verlauf der Vorlesung immer wieder auf musikpädagogisches Handeln während der Zeit der Diktatur eingehen, jedoch keinesfalls im Sinne der Betrachtung einer abgrenzbaren, eigenständigen Zeitspanne, sondern vor dem Hintergrund der Frage, ob Jödes Narration eines Davor und Danach auf der Basis existierender Quellen überhaupt haltbar ist.

Literatur zum Einstieg: Gruhn, Wilfried (2003): Geschichte der Musikerziehung. Eine Kultur- und Sozialgeschichte vom Gesangunterricht der Aufklärungspädagogik zu ästhetisch-kultureller Bildung. (1993), 2., überarb. u. erw. Aufl., Hofheim: Wolke, S. 252-306

Montag, 10 – 12 Uhr, Raum 8.34 

Beginn: 8. April 2024  

Anrechenbar als Vorlesung für Musikpädagogik, nicht für Musikpädagogik/Fachdidaktik (FD). [2 ECTS]

Jürgen Oelkers stellt in seinem 2005 erschienenen Band Reformpädagogik: eine kritische Dogmengeschichte die These auf, „die Darstellung der ‚modernen’ Pädagogik passt sich ästhetischen Modernisierungen nur dort an, wo sie das Anliegen der ‚neuen Erziehung’ nicht stören, sondern unterstützen“ (S. 356). Das Anliegen einer Reformbewegung, die vor etwas mehr als 100 Jahren die Erziehung in weiten Teilen Europas und einigen Staaten Nordamerikas umgestalten wollte, hatte nur partiell dieselben Ziele wie Künstler, Musiker und Literaten, die etwa zur selben Zeit in ihre Moderne aufbrachen. Beide Bewegungen verunsicherten, verstörten, wandten sich gegen vorgebliche Normen. Wo trafen Sie sich? Wo galt es Spannungen auszutragen? Wie aufgeschlossen war die Reformpädagogik der Kunst ihrer Gegenwart gegenüber und was meinte die Avantgarde damit, zu einem neuen ästhetischen Bewusstsein erziehen zu wollen? Ein Schwerpunkt der Vorlesung wird auf der Zeit der Weimarer Republik liegen.

Reformpädagogische Ansätze gab es allerdings schon im 16. Jahrhundert und bis in unsere Gegenwart erfährt der Musikunterricht gerade im europäischen Kontext wesentliche Impulse durch die von kultur- und gesellschaftskritischen Motiven inspirierten Programme. Welche Veränderungen wurden angestoßen? Welche Rolle kann Musikunterricht heute bei der Suche nach einem zukunftsorientierten Lehr- und Lernraum Schule spielen?

Literatur zum Einstieg: Jürgen Oelkers (2004): Reformpädagogik, in: Historisches Wörterbuch der Pädagogik. Hg. v. Dietrich Benner und Jürgen Oelkers, Weinheim, Basel, 783-806