Im kammermusikalischen Werk Schuberts sind verschiedene Schaffensperioden zu erkennen. Die Werke der ersten Periode (ca. 1810-1813) stammen aus der Zeit, zu der der junge Schubert (13 bis 16 Jahre alt) Zögling des Wiener Stadtkonvikts war. Die frühen Streichquartette komponierte er für das häusliche Musizieren und sie wurden vom Familienquartett Schuberts aufgeführt, bei dem er als Bratschist mitwirkte. Diese experimentell geprägten Werke sind auffällig, vor allem, was den Umgang mit der Sonatensatzform und die tonalen Dispositionen angeht. Eine nicht immer geradlinige Entwicklung in den Werken der ersten Phase führt zu einer zweiten Periode (Nov. 1813-1817), deren Anfang auf biographischer Ebene die Vollendung seiner ersten Sinfonie und der Austritt aus dem Stadtkonvikt markieren. Die Streichquartette, Streichtrios und Violinsonaten aus dieser Zeit zeigen „eine deutlich gewachsene satztechnische und formale Souveränität“ und orientieren sich an Haydns und Mozarts Kammermusik. Die sogenannten Krisenjahre 1817-1822 bilden in Schuberts kammermusikalischem Schaffen eine große Zäsur, bei der die Kammermusik aus dem Zentrum seines Interesses rückt. Aus dieser Zeit sind das berühmte Forellenquintett und das unvollständige Streichquartett Nr. 12 überliefert. Ein deutlicher Umbruch im kammermusikalischen Werk Schuberts ist ab 1824 festzustellen. Angeregt durch das Vorbild Beethovens definiert Schubert sein Verständnis der Gattung neu und wagt den Weg über eine Kammermusik für halböffentliche Haus- und Salonkonzerte hinaus zu einer Kammermusik für die breite Öffentlichkeit Wiens. Wodurch unterscheiden sich die Werke der neu definierten Gattung von den früheren Werken Schuberts? Dieser dritten Phase gehören Schuberts bekannteste Kammermusikstücke, wie die letzten drei Streichquartette, die Klaviertrios oder das späte Streichquintett an.
Im Seminar werden wir ausgewählte Kopfsätze, langsame Sätze, Tanzsätze und Finalsätze der verschiedenen Schaffensperioden entdecken, vergleichen und die Charakteristika der verschiedenen Phasen offenlegen. Die Analysen werden bereichert durch Einsichten in das kurze Leben Schuberts sowie durch die Besprechung einiger aufschlussreicher Briefe des Komponisten, die in direkter Verbindung mit seinem kammermusikalischen Schaffen stehen.
- Kursleitung: Unai Ruiz De Gordejuela